Freitag, 22. Oktober 2010

Abwarten... und Tee trinken



… wird hier in Indien zu unserem Lebensmotto.
Vergangenen Sonntag boten sich wieder viele Möglichkeiten diesem Motto gerecht zu werden. An diesem Tag ging es zum Dasara bzw. Dusshera Festival nach Mysore, das in ganz Indien berühmt ist und dessen krönender Abschluss, eine bunte dreistündige Prozession, überall im Fernsehen ausgestrahlt wird. Und wir sollten live dabei sein – wow. Natürlich wollten wir uns diese Chance nicht entgehen lassen, obwohl wir vorgewarnt wurden, dass zu diesem Anlass riesige Menschenmassen nach Mysore strömen würden (aber um ganz ehrlich zu sein, wir haben uns nicht vorgestellt, dass tatsächlich sooo viele Menschen dort sein werden). Um 5.20 Uhr nahmen wir den ersten Tee des Tages ein, gekocht auf unserem geliebten Campinggaskocher, gesüßt nach deutschem Geschmack (also mit weniger als drei Händen voll Zucker). Um 6 Uhr ging’s dann gemeinsam mit der Familie des Direktors (die den Umzug selbst noch nie gesehen hatte), Mona, Anita und dem Fahrer Chaitan los.


auch der Jeep wird festlich rausgeputzt

Noch etwas benebelt von der ungewohnt kurzen Nacht, fiel uns doch auf wie wunderschön die morgendlichen Dörfer sind, in denen man zuschauen konnte, wie das Leben gerade erst erwacht. Unseren ersten Stopp machten wir für ein indisches Frühstück mit wahlweise Dosa, Idli oder Reis mit Linsen (alles genauso scharf und würzig wie nachmittags und abends), sowie Tee (zweiter Tee des Tages) und Kaffee im Stammrestaurant unserer Gastgeber.

Frühstück

Direktor und Ajith

So gestärkt machten wir uns auf zur Messe in einer von den Engländern errichteten Kirche in Mysore. Die Messe war der eigentliche Grund, wieso wir so früh losgefahren sind, weil der Umzug erst um 13.30 Uhr…. Oder war es 11.30 Uhr.. oder doch 13.00 Uhr?? (darüber gab es auf der Hinfahrt ja noch einige Uneinigkeiten) losgehen sollte. Von der Messe bekamen wir dann nur zwanzig Minuten mit, aber der Direktor verkündete uns anschließend glücklich, dass wir pünktlich waren und so die entscheidenden 20 Minuten der Messe noch mitbekommen haben. :-)



Danach begannen die Diskussionen, was mit der verbleibenden Zeit bis zum Beginn der Prozession getan werden soll; Saris für die volunteers kaufen gehen? Oder doch lieber in den Zoo? Das erwies sich dann aber alles als überflüssig, als wir um ca. 10.30 Uhr mit dem Jeep durch die Straßen von Mysore fuhren; Menschen, überall Menschen – auf den Bäumen, Zäunen, Häusern, in den Gerüsten von Werbeplakaten (!!!), sprich überall. Es wurde deutlich, dass wir uns beeilen mussten, um überhaupt noch einen Platz zu bekommen. Man hatte sich übrigens mittlerweile darauf geeinigt, dass die Prozession um 13.30 Uhr anfangen würde. Das heißt noch ganze drei Stunden Warten bis zum Beginn und trotzdem sah es zunächst so aus als wäre es unmöglich noch einen Platz mit guter Sicht auf die Prozessionsstraße zu ergattern. Die Sitze die links und rechts der Straße aufgebaut worden waren, waren laut Aussage der zahlreichen Polizisten und Security-Männern restlos ausverkauft. Dass sich „foreigners“ nicht unbedingt an die indischen Vorverkaufsregeln halten müssen oder schlicht unglaubliches Glück haben können sollte uns bald bewusst werden. Denn plötzlich winkten uns aus den überfüllten Rängen zahlreiche Hände auf zwei der noch freien Stühle Platz zu nehmen. Also kletterten wir unter den Absperrungen durch (was die Sicherheitsbeamten keineswegs störte) und hatten unsere Plätze in der ersten und zweiten Reihe sicher, während unsere indischen Begleiter weitersuchten, aber letztendlich leider keine gute Sicht auf den Umzug hatten. Dann begann das Warten, das wir ja bereits gewohnt sind.



Drei Stunden in der Mittagshitze, die uns allerdings durch die interessante Atmosphäre kürzer erschienen. Zum einen wurden uns die typischen Lieblingsfragen der Inder gestellt (1. What’s your name? 2. Where are you from? 3. Food? Did you have food? 4. Do you like India? 5. What’s your father’s/mother’s name/profession?) und man versorgte uns mit Früchten, „bread” (übersetzt bedeutet das so viel wie ungetoastetes, natürlich gesüßtes Toastbrot mit undefinierbaren grünen Stückchen darin) sowie Regenschirm und Zeitung zum Schutz gegen die Sonne. Zum anderen boten sich während der Wartezeit die spannendsten Ausblicke auf die gegenüberliegende Seite der Straße, wo tausende (nicht übertrieben!) Menschen alles Mögliche unternahmen um möglichst gute Sicht auf die Straße zu haben. Der Anblick, der schiebenden Massen führte uns vor Augen, wie einfach eine Massenpanik entstehen kann. Zudem war es sehr ernüchternd festzustellen, dass die Polizei nicht wirklich etwas dagegen unternehmen konnte. Sprich wir waren mit unseren sicheren Plätzen wirklich sehr zufrieden. Die Spannung stieg und wir konnten es kaum erwarten, dass der Umzug endlich anfängt. Als es dann endlich losging zeigte sich, dass sich die ganze Warte- und Anfahrtszeit wirklich gelohnt hatten. Man kann das Spektakel mit all seinen leuchtenden Farben, rhythmischen Klängen und schrägen Persönlichkeiten mit Worten nur sehr schwer beschreiben. Wir hoffen, dass euch die Bilder und Videos (Ein „Danke“ hierbei an das wirklich freundliche Internet von Hassan, das uns diesen Luxus ermöglicht, wir mussten die Videos nur 45 Minuten laden lassen;-)) einen relativ guten Eindruck von der unglaublichen Atmosphäre geben können. Natürlich sind wir uns bewusst, dass es „live“ dabei zu sein noch Mal was ganz anderes ist. Also auf nach Mysore zum nächsten Dasara-Festival im Oktober 2011.























Na was sagt ihr dazu??
Nach dem spektakulären Abschluss der Prozession war unser Tag in Mysore noch nicht zu Ende. Pünktlich nachdem der letzte Elefant verschwunden war, begann es zu regnen. Und zwar hat es nicht genieselt oder getröpfelt, sondern wie aus Eimern geschüttet (eigentlich dachten wir, dass wir die Monsunsaison nicht miterleben werden, aber dieser Wolkenbruch zeigte uns wie es zu dieser Zeit sein muss durch indische Straßen zu laufen). Also rannten wir, genauso wie die restlichen tausend Menschen. Langsam versammelte sich alles unter den schützenden Dächern am Rande der Straßen, wir waren aber nicht sonderlich begeistert davon, sich mit 20 Männern unter den Sonnenschirm eines Verkaufsstands oder an den Straßenrand zu quetschen. Deshalb überredeten wir Mona uns trotz Sintflut gleich auf die Suche nach dem Jeep zu machen, den Rest der Gruppe hatten wir nämlich im Gewühle verloren. Gesagt getan, also rannten wir weiter und verstanden recht schnell warum Mona von dieser Idee nicht begeistert gewesen war. Die links und rechts der Straße wartenden Menschen (vorwiegend Männer) waren erfreut über die kleine Abwechslung, da die Straßen sonst gähnend leer waren, und so begannen sie zu grölen und zu jubeln. Noch einmal im Klartext, uns beiden kleinen deutschen Volunteers rufen ca. 500 Inder zu (über die Zahl sind wir uns nicht wirklich einig, im Grunde schätzen wir, dass es eher mehr waren) und wir wissen gar nicht wie wir möglichst schnell wegkommen können. Zum allen Überfluss waren wir zu diesem Zeitpunkt bereits bis auf die Haut durchnässt und sahen aus wie begossene Pudel. Als wir den Jeep endlich fanden waren wir doch sehr erleichtert und der Rest der Gruppe (allesamt TROCKEN!), die bereits auf uns warteten, hatten was zu Lachen. „Was für ein Tag“… dachten wir. Wir haben unsere Naivität scheinbar immer noch nicht abgelehnt, denn zwei tropfnasse Volunteers auf den Rücksitzen bedeuten keinesfalls, dass man auf dem schnellsten Weg ins Hostel zurückkehrt, neeeeein, jetzt wurde erst einmal eine befreundete Familie besucht und ihr werdet es kaum erwarten; Tee getrunken :-). Bei dieser Gelegenheit hat man sich spontan dazu entschlossen noch mal zurück nach Mysore zu fahren, um den beleuchteten Palast bei Nacht anzuschauen. Auf der Fahrt wurden dann alle Fenster aufgerissen, damit die Volunteers trocknen können, uns war es zwar sowieso schon schweinekalt (abends um 6 Uhr mit glitschnassen Haaren und Kleidern) und dann kam noch „angenehm“ erfrischender Fahrtwind dazu *bibber*. Seltsamerweise immer noch nicht trocken schoben wir dann noch einen kleinen Restaurantbesuch ein, bei dem Ajith (15-jähriger Sohn des Direktors) gaaaaanz mutig war. Er bestellte sich nämlich nach dem Vorbild der beiden German girls chinesische Nudeln und wurde prompt bestraft. Sein Abendessen bestand aus steinharten, fetttriefenden, vermutlich frittierten, in Ketchupähnlicher Tomatenpampe ertrunkenen Spaghettis (wir wagen es kaum diese Bezeichnung dafür zu verwenden). Sein entsetzen und angewiderten Gesichtsausdruck angesichts dieser Scheußlichkeit werden wir wohl nie vergessen. Gott sei Dank teilen die Inder wie gesagt alles und somit musste Ajith an diesem Abend nicht verhungern. Übrigens sind wir uns mittlerweile nicht mehr so sicher ob Ajith nach dieser Erfahrung immer noch nach Europa kommen möchte, weil dort ja den ganzen Tag „nur“ Nudeln und Brot gegessen werden – furchtbar :-). Falls es euch interessiert; unser Essen war übrigens lecker, hat geschmeckt wie beim Chinesen in Deutschland, Mona war allerdings total schockiert, sie dachte, dass die Gewürze vergessen wurden.
Nach dem Essen ging es zum Palast, der wirklich wunderschön beleuchtet war – eine Mischung aus Disneyland und tausend und einer Nacht.
Ein gelungener Tagesabschluss…..







Nach einem Tag Pause ging es am Dienstag direkt weiter. Lange im Voraus angekündigt sollte es heute zum „native place“, also dem Heimatdorf des Direktors gehen, um seine Familie zu besuchen. Pünktlich um 7.00 Uhr standen wir vor der Tür, wurden mit zwei Tassen Tee begrüßt und wunderten uns über die voll gepackten Reisetaschen, die in den Jeep geladen wurden. Schließlich sollten wir doch am Abend zurück sein, oder? Nein, Irrtum! Der Ausflug ist spontan um einen Tag verlängert worden und wir werden über Nacht bei der Familie des Direktors bleiben. Also schnell zurück zum Hostel, Rucksack auf, Kleider und Waschzeug rein und wieder zurück in den Jeep. Aber Moment. Was raschelt denn da so im Kofferraum? Zwei kleine Hundewelpen sollten unser Gastgeschenk werden, die beiden konnten als einzige der ganzen Gruppe während der doch relativ holprigen fünfstündigen Fahrt im Kofferraum schlafen. Immerhin lernten wir, dass wir keine Baby-bananenschalen auf die Straße werfen dürfen, weil sonst einer der Trucks darauf ausrutschen könnte… :-).
Die Eltern, sowie die Familie des Bruders des Direktors empfingen uns sehr freundlich mit einer Tasse Tee und wir waren einfach begeistert von der paradiesischen Lage der Häuser in Mitten von Gummi-, Papaya-, Kokosnuss, Mango-,… -bäumen.








Der Direktor führte uns stolz durch die Plantage seiner Familie und wir wollen euch das neu gewonnen Wissen nicht vorenthalten. Hier also eine kleine Naturkunde:

Gummibäume


Die Bäume werden angezapft und die Milch fließt in Kokosnussschalen aus denen sie später gesammelt wird

Die gesammelte Milch der Gummibäume wird in Formen gegossen und mit Säure versetzt

Nach dem Verfestigen und Pressen entstehen "Rubbersheets" (à 0,5 kg), die uns ein bisschen an Gummibadematten erinnerten, in dieser Form wird der Rohkautschuk dann verkauft (pro Kilo 160 Rs bzw. 2,80€)

Ananaspflanze


Kaffeestrauch

Tabioka (essbare Wurzel)

Vanille

Weiter ging es zum Haus der Schwester. Hier sollten wir die Nacht verbringen und die Bekanntschaft von einem sehr süßen kleinen Mädchen machen (an unsere beiden Vorgängerinnen: die Namen Djamila und Milena werden noch immer auf alle europäischen Mädels angewendet – ihr seid auch hier nicht in Vergessenheit geraten). Trotz ihrer drei Jahre war sie schon unglaublich fit, ließ sich aber auch gleichzeitig gerne knuddeln und war, wie sämtliche Inder, begeistert von unseren Spielen, deren Steine sie zum Türmchenbauen benutze.



Am nächsten Tag warteten unsere persönlichen Reiseführer Sajith, Ajith (Söhne des Direktors), ihr Cousin und zwei Cousinen schon darauf uns die Attraktionen des kleinen Orts zu zeigen: eine Kirche, ein Tempelkomplex und ein Stausee. Die Stunden mit den fünf waren sehr lustig (neuer Riksha-Rekord: sieben Personen) und eine schöne Abwechslung. Wir genossen es generell sehr mit Sajith und Ajith, die beide echt nett sind, mehr Zeit zu verbringen und sie näher kennenzulernen, das ist nämlich bis jetzt noch zu kurz gekommen. Den Nachmittag und übrigens auch den Abend und die Nacht und den nächsten Vormittag (jaa, wir sind spontan noch eine Nacht geblieben :-) ) verbrachten wir zuhause mit den zwei Jungs, ihrer Tante, dem Onkel und der Kleinen, schnupperten Familienluft und tranken sogar für indische Verhältnisse überdurchschnittlich viel Tee. An dieser Stelle sei erwähnt, dass wir uns nun auch mit dem indischen Fernsehprogramm inklusive zahlreicher Werbesendungen bestens auskennen. Als sehr lustig empfanden wir die Werbung für den „global hand wash day“ am 16.Oktober, ausgestrahlt am 21.Oktober :-).



Buddha Schrein

Tempelsäule




im Vordergrund Sajith

Diese Tage waren für uns wirklich sehr schön und auch lehrreich und wir hoffen, dass wir in Zukunft mit der Familie des Direktors mehr Zeit verbringen können.
Morgen geht’s für uns dann auch direkt weiter. Wir fahren (alleine!) mit dem Bus nach Coimbatore zum After-Window-Period Workshop und freuen uns schon wahnsinnig die anderen Volunteers, sowie Frau Sames und Frau Tietz von der Karl Kübel Stiftung wiederzusehen.




Grüße ins herbstliche Deutschland

Anju & Juli

5 Kommentare:

  1. Hallo ihr 2
    echt stark euer neuer Bericht, so schön ausführlich dass man wie gebannt vorm Computer sitzt und gespannt ist was ihr als nächstes erlebt - spitzenmäßig auch die vielen schönen Bilder und natürlich die beiden Videos als Krönung in eurem Blog - Klasse !!!
    Vielen Dank !

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  2. Wieder ein Bericht, der zu einer Reise nach Indien einlädt!
    MAPA

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  3. Ich will auch frische Kokosnüsse und Mangos! Und Vanille und bunte Elefanten und .................
    nur vielleicht keinen zuckersüßen Tee =)
    Lasst´s euch weiterhin so gut gehen und haltet die Heimat auf dem Laufenden - ist immer eine gute Ablenkung vom Schreib- und Korrekturkram =)
    Alle lieben Grüße
    xxx
    Elke

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  4. Elisabeth Mamavonanna29. Oktober 2010 um 18:32

    Hallo Ihr zwei! Eure Berichte machen einfach immer riesig Spaß! Danke und liebe Grüße!

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